Cleaner Kuchen und Saline 

Die Nacht war besser als die letzte. Auch viel geträumt, aber es gab nicht so einen chaotischen Wust an Gefühlen mit wie in den letzten Nächten. Ich habe auch nur eine halbe Gute-Nacht-Medizin genommen und war trotzdem schnell weg. 

Laune ist dennoch nicht auffindbar. Irgendwo zwischen tiefer Traurigkeit und nicht mehr können wollen. 

Ich schäle mich leise aus meinem Bett. Sammel Telefon, Schlüssel und Kopfhörer ein. Laufen. Ich sollte laufen. Ich bin nicht anwesend. Irgendwo verloren gegangen. Alles läuft automatisch ab. Beim Aufwachen ist mir eingefallen, dass ich zwar ein Essen für heute vorbereitet habe, aber eins etwas wenig ist. Natürlich kommt noch eine Handvoll Möhren dazu. Ich liebe diese kleinen orangen Scheisser einfach. 

Nach ziemlich ernüchternden 20 Minuten bin ich auch wieder im Haus. Meine Beine wollen einfach nicht. Alles andere wäre jetzt ein auf ‘Teufel-komm-raus’ gewesen. 

Im letzten Jahr  gab es bei mir oft ‘Möhrenschnitten’. Das Rezept hatte ich auf Instagram gefunden und für mich passend abgewandelt. Ich schau später einmal nach dem Original. Im Grunde besteht der kleine Kuchen oder die Schnittchen aus Möhren, Ei, Whey und Kokosmehl. Ich habe heute Lust auf Erdnuss. Also Whey mit Erdnussgeschmack und PB2 Erdnusspulver (da bin ich die ganze Zeit schon scharf drauf, heute dann zum ersten Mal verbacken), Möhren, Ei und Mandelmehl. Es duftet absolut granatenstark. Zum Geschmack werde ich dann heute abend mehr zu berichten haben.

Kaffee ist heute mit einer neuen Sorte am Start, wie ich zugeben muss wieder ein Produkt einer grossen Handelskette… In meinem Tunnelblicktran konnte ich mich nicht auf das Angebot der vielen kleinen Privatröstereien konzentrieren. 

Mein Mann steht auf. Das Küchenchaos ist soweit bereinigt. Wackelquarknachtisch ist auch vorbereitet. In den letzten Wochen haben wir es dann endlich mal geschafft Zutaten für ein eigenes Müsli einzukaufen. Dieser Zuckerpams, der als gesundes Frühstück angeboten wird, ist mir schon eine ganze Weile ein Dorn im Auge. Was soll ich sagen, war sehr gut. Gehört nochmal gemacht. Und so mixxern wir zusammen eine neue Kreation. Kurze Rückfrage (während ich hier schreibe löffeln mein Mann sein neues Müsli): Sehr gut! 

Passt. 

Ja, ich kämpfe wirklich. Es soll fröhlich und locker klingen. Warum? Ich bin weder fröhlich noch locker. Ich versuche aber den Kleinigkeiten eine Chance zu geben. Sofakuscheln. Sonne. Spatzengang. Erdnussküchlein. Maske.

Um halb eins geht es dann los Richtung Schwiegervater. Der Beerenkuchen ist zusammen mit Kerze und dem notwendigen Besteckt eingepackt.

Ich fühle mich nicht nach Nest verlassen. Schon gar nicht in unbekanntes Gebiet. Wenigstens ist mein Essen nicht dem Zufall überlassen. Was ich heute definitiv nicht will ist umarmt und betascht zu werden. Ich will auch nicht hören wie lecker der Kuchen sein wird und wie toll und ach. Es ist einfach selbstverständlich, der Kuchen. Ja. Umarmung wird wohl sein müssen. Schwiegervater übertreibt es gleich wenn er mal darf. Schwer ein gutes Mittelmaß zu finden. Ich verstehe ihn gut. Sehr gut sogar. Aber ja. Es ist eben so wie es ist. Ich freue mich doch auch ihn zu sehen und ein paar Stunden gemeinsam zu verbringen. 

Ich nippe an meinem Kaffee. Der musste noch mit. Wölkchen ist wie gestern auch mit dabei. Sicher verstaut in meinem Beutel. Das Armband fehlt irgendwie. Ich fühle mich nackt ohne. Es hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Die Goldschmiedin sagte gestern, dass ihr einzig ein neuer Hund über die Trauer hinweg helfen konnte. Nicht als Trostpflaster, einfach damit jemand neues da ist. Sie hat sich dabei aber auch Zeit gelassen. Ich komme mir inzwischen ausgesprochen blöd vor, weil ich einfach nicht darüber hinweg komme und immer wieder über Rebeca schreiben muss. 

Ich fühle mich einfach amputiert. Mir fehlt meine Erdung. Auch mein Mann erdet mich, natürlich. Dann aber auch ‘erst’ wenn er da ist und dann ist es oft zu spät und ich hänge drin in mir und meinem eigenen Abgrund. 

Memo an mich: du hattest gestern KEINE Panikattacke – kein Kribbeln, keine Taubheit, keine Hechelatmung, kein kalter Schweiß – Unterscheidung zwischen Panikattacke und Borderline Hochstress ist absolut elementar. Eine Panikattacke wird nur besser wenn man sich reinsteigert. Durchstehen, bricht man ab hat man keinen Lerneffekt.  Borderline Hochstress raus aus der Situation, Stress triggert Stress, triggert Stress. Also zwei unterschiedliche Herangehensweisen (eigentlich drei eigentlich muss noch differenziert werden wie hoch der Borderline Stress ist. Bin ich noch handlungsfähig aushalten bis Stress langsam runter geht…). Wähle ich die Falsche, verschlimmere ich die Symptomatik. Das ist der Knackpunkt. Ich muss den Augenblick erwischen bevor ich nicht mehr gezielt handeln kann. Greife ins Wespennest ohne gestochen zu werden. Easy… Nicht. 

Mein Schwager und dessen Freundin sind auch da. Hm. Kuchen habe ich jetzt nur für uns. Es hieß das nur wir kommen. Wir drei essen den Kuchen dann allein. Ich nehme mir auch ein Stück. Ganz ungetrackt. Ich bin so verwegen (ganz klare Empfehlung. Der Kuchen ist top)! Trotzdem bleib ein komisches Gefühl. Die beiden haben sich derweil draußen die Beine vertreten. Ist es nun wegen mir? Ist es weil ich einen cleanen Kuchen mitgebracht habe und die beiden Alkohol-Pralinen? Ich denke, dass man eine bestimmte Ernährung auch unterstützen sollte. Wäre ja als würde ich nem Alki ne Falsche Wodka mitbringen. Sehe ich das zu eng. Bin ich gedankenlos, sind die anderen gedankenlos? Aber es ist doch so? Ich will meinen Gegenüber doch unterstützten weil mir was an ihm und seiner Gesundheit liegt. Nicht ihn verleiten und sogar noch schaden.

Wir sitzen in einer Eisdiele jetzt alle zusammen. Ich habe mir ein Lightgetränk bestellt. Ich habe nämlich zwei Stücke vom cleanen Kuchen bekommen. 

Ich fühle mich ausgesprochen unwohl. Es sind unheimlich viele Leute unterwegs. Dazu hat mich Schwiegervater mehrfach plötzlich angefasst. Für mich jedes mal ein absoluter Schockmoment. Ich zucke zusammen als hätte man mich geschlagen. Ich kann es nicht verhindern. Versuche es zu überspielen. 

Wir gehen noch eine Weile spazieren. Es fällt mir wirklich schwer. Immer wieder muss ich tief durchatmen. 

Mich ablenken mit meinem Telefon. Ich sehe fertig aus. 

Dann machen wir uns auf den Rückweg. Noch einen Moment stehen bzw sitzen wir zusammen. Dann verabschieden wir uns. Von allen anwesenden werde ich wieder am längsten gedrückt. Ich weiß nicht wie ich es heute aushalten könnte. 

Vielleicht ist es auch einfach so viel zuviel, dass es egal ist. Je depressiver ich bin, desto egaler (gibt es das Wort überhaupt?) werden mir Stresssituationen. Im Nachgang werden sie mich dann erwischen. Morgen. Übermorgen. Oder nächste Woche. 

Tschüss 

vor 7 Jahren

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