Immer wieder sonntags und neue alte Erkenntnis

Es gibt nicht nur Allstagsituationen, Begegnungen und Orte, die mir zu schaffen machen sondern auch Wochentage. Donnerstage waren für mich im Schul- und später auch Arbeitsalltag schwierig. Donnerstags war immer lang Unterricht, donnerstags waren immer diese blöden AGs, donnerstags war immer dieser unsägliche Konfirmandenunterricht, donnerstags war die Berufsschule immer besonders lang und oft auch langweilig. Donnerstags waren die Praxen immer besonders lang offen. Meine geliebte Mini ist an einem Donnerstag gestorben. Donnerstag Abende waren aber auch immer besonders gut, abgesehen vom Minidonnerstagabend – der Tag war viel zu unwirklich um wahr gewesen zu sein. Denn kein Donnerstag ist so weit weg, wie ein Donnerstag am Donenrstagabend! Mit der Zeit ist der bittere Beigeschmack abgeklungen, bzw. “nur” noch eine Erinnerung.

Bei Sonntagen sieht das leider noch anders aus. Irgendwie haben wir das Phänomen gestern Abend neu entdeckt. Sonntags, das Wochenende ist vorbei. Während meiner Schulzeit hieß das, daß der Spießrutenlauf von neuem Beginnt. Während meiner Ausbildungszeit hieß sonntags Abschiednehmen vom geliebten Freund (meine erste Beziehung, gleich eine Fernbeziehung Göttingen – Frankfurt/Main). Irgendwie war dieser Verlust für mich jedes Mal aufs neue kaum auszuhalten. Ich habe eine ausgeprägte Verlustangst. Sonntage haben daran nichts verbessert. Auch in der ersten Zeit mit meinem Mann haben wir weit von einander entfernt gewohnt (Frankfurt/Main – Gütersloh, bzw. später Frankfurt/Main – Soltau). Jeden Sonntagabend wieder Abschiednehmen. Eine lange Woche allein sein. Mangels Freundschaften war niemals jemand da. Irgendwie habe ich es bis heute nicht so recht schaffen können wirkliche Freundschaften aufzubauen, ein zwei ja, aber die auch nur in der Ferne, oder viel zu selten. Es gibt niemanden mit dem man auf die “Schnelle” ein tiefergehendes Gespräch führen könnte. Niemanden der alles über mich weiß und über den ich alles weiß – abgesehen von meinem Mann, ich glaube wir wissen erschreckend viel und doch sehr wenig von und übereinander. Als ich mit meinem Mann zusammen gezogen bin hat es eine sehr lange Zeit gedauert bis ich morgens nicht mehr in Tränen aufgelöst war und das nur weil er zur Arbeit gefahren ist.

Das alles hat mich so sehr gepägt, daß sich jeden Sonntag dieses Gefühl von Unruhe, unterschwellige Angst und Sorge einstellt. Ich bin schnell gereizt und die Stimmung kippt entsprechend schnell. Durch ein paar Besonderheiten habe ich mir schon versucht den Sonntag angenehmer zu gestalten. Der Gang zum Bäcker beispielsweise oder eben tolle Gammelabende mit Cousinchen und Schwiergersin, grundsätzlich geben wir uns sonntags auch viel Mühe mit den Abendessen. Aber sobald das vorbei ist trifft mich die innere Leere mit der geballten Ladung Angst, Sorge und Verzweiflung so hart, daß ich einfach in ein Loch falle. Nicht mehr klar denken kann. Von Verlustangst und Panik übermannt werde.

Gestern Abend hat mich mein Mann darauf angesprochen. Mir war das Phänomen schon bekannt und wir haben sicher auch darüber gesprochen, aber es irgendwie wieder Vergessenheit geraten oder wir waren uns der Brisans nicht wirklich bewusst. Jetzt ist es uns jedenfalls wieder bewusst geworden. Vielleicht können wir so besser gegensteuern. Der gestrige Abend endete mit einer Portion Notfallmedikamente. Ich war so aufgebracht und aufgelöst, Gedanken in meinem Kopf unaufhörlich am brüllen. Ich unfähig diesen Gedanken ausdruck zu geben, sie auszusprechen, meinem Mann mitzuteilen was los ist und nicht einfach in blinder Wut auf ihn los zugehen. Er weiß nicht was in meinem Kopf los ist. Ich muss es sagen. Es ausprechen. Ich konnte ihm nur sagen, daß ich mich so unglaublich dafür selbst hasse. So machtlos und handlungsunfähig zu sein. Mit offenen Augen zu sehen was passiert, aber vollständig gelähmt zu sein. Im Kopf, im Herz, in der Seele. Er war da bis ich eingeschlafen bin.

Gedanken in meinem Kopf die mich fortwährend quälen, immer und immer wieder Situationen, Erlebnisse, Augenblicke die ich durchgehen muss. Durchstehen muss. Wieder und wieder und wieder. Immer wieder Gefühlsstürme die dabei entstehen, die mich hin und her schmeißen, mich mitreißen. Mit mir machen was sie wollen. Mir keine Luft zum Atmen lassen. Mich vergessen lassen wer oder was ich bin. Mich blindlings handeln lassen. Mich fernsteuern.

Ich brauche einen zweiten Morgen. Nach einer Weile weckt mich Lex auf. Er hat mit mir auf dem Sofa geschlafen. Ich fühle mich nicht besser, die Pille von gestern wirkt nach und ich bin ziemlich kaputt. Dennoch muss ich mich beschäftigen, ich muss in die Gänge kommen. Es gibt einige Aufgaben die ich mir gestellt habe – Lex betreffend. Wir sitzen zusammen länger im Garten auf der Bank hinter dem Haus. Wir sitzen einfach da und machen nichts weiter außer die Nähe des anderen zu genießen. Lassen uns von der Sonne bescheinen. Ich versuche mich zu wärmen, an Lexs Nähe und an der Sonne. Obwohl es draußen wirklich warm ist und sich die Sonne einen Ast scheint ist mir so furchbar kalt. Gestern abend schon habe ich unter Decken und Lex gelegen und gefroren. Da hilft kann nur ein Seelenflasch helfen.

Ich mähe den Rasen, bzw einen Teil davon. Den Rest vor dem Haus mache ich später, oder morgen oder gar nicht. Der kleine Teil hat mir schon ein paar derbe Schimpfworte entlockt. Training, Training tut gut. Danach bin ich gut kaputt. So gut kaputt, daß mein Kopf endlich still ist. Überhaupt hat er irgendwann während des Trainings angefangen aufzuhören. Ich bin sehr dankbar dafür und versuche diese willkommende Leere eine Weile festzuhalten.

Ich mag nicht mehr schreiben.

Tschüss

vor 6 Jahren

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