Kein Schloss und Musik

Der Tag startet wie jeder andere Tag auch. Tonnen an Gedanken, Emotionen, Sorgen, tauchen wie aus dem Nichts wieder auf. Ich bin früh unterwegs. Wir sind früh unterwegs. So recht klappt es momentan nicht. Kommen da doch langsam die Hormone bei Lex ins Spiel?

Unterwegs kämpfe ich mit den Tränen. Warum? Keine Ahnung warum. Ich weiß nur, daß ich hier nicht sein mag. Wenn ich schon dieses elende Dasein führen muss, kann es nicht dann an einem anderen, schöneren Ort sein? Was erhoffe ich mir davon – nichts, es wird sich nichts ändern. Vielleicht würde es mir mehr Freiheit bringen. Ja, das ist dieser für mich typische Zyklus. Alle drei bis vier Jahre habe ich die Nase gestrichen voll von den Ort an dem ich mich befinde, von den Job den ich mache. Für mich war es dann immer an der Zeit weiter zu ziehen. Neues zu entdecken. Möglichkeiten. Chancen. Wie ein Dorn sitzt mir die Nähe zum Pferdehof im Fleisch, die Straße direkt am Haus, der ewige vom Menschen gemachte Lärm. Stimmen vom Hof, von Menschen, die am Haus vorbei gehen. Ich sehne mich so sehr nach Stille. Ich will Menschen hören wenn ich sie hören will. Ich will spazieren gehen ohne Begegnungen fürchten zu müssen – nicht wegen Lex, nein. Einfach nur weil ich keine Menschen sehen mag. War es zu viel am Wochenende? Eine geballte Ladung Mensch. Dazu noch aufgezwungen. Heut Abend geht es in unser Städtchen – Lex muss das lernen. Mit meinem innerlichen Widerwillen kann es doch nur schwierig werden. Das Feld neben an wird verkauft, Bauland. Schon immer irgendwie klar, daß da was kommen wird. Man kann die Menschen im Dorf hier im Garten hören. Zaun an Zaun wird es nicht auszuhalten sein. Häuser in direkter Nachbarschaft sind mir so ein Graus. Ich kann nicht nachvollziehen wie man in Reihenhäusern, oder in Wohnsiedlungen glücklich leben kann. Da wo man die Nachbarn niesen und pissen hört.

Es gab Ende Mai eine kleine Schlossversteigerung in Schottland. Man konnte sich Lose kaufen und dann das Schloss gewinnen, oder eben statt Schloss, Geld nehmen. Schließlich bringt so ein Schloss auch Unmengen an Kosten mit sich, dennoch hatte man die Chance dies dann vor Ort zu entscheiden. Drei Lose haben wir gekauft, eins für meinen Mann, eins für mich und eins für Lex. Insgesamt gab es eine Mindesmenge an Lose, die verkauft werden mussten. Wie auch immer, wir haben kein Schloss gewonnen. Es war aber eine lustige Sache. Natürlich wäre allein schon der Unterhalt eine Utopie. Die vielen Hektar Land drum herum… Nicht der schönste Flecken Schottlands, aber hey, da würde sich so schnell keine Menschenseele hin verirren. Lex könnte die Pfauen hüten und ich könnte heile werden. Beinahe für jede Woche im Jahr ein anderes Schlafzimmer. Man, man, man, klingt das verlockend!

In meiner Erinnerung sind alle meine vorherigen Wohnungen und Häuser dunkle, beengte Löcher. Ich habe das Gefühl, daß auch diese Haus gerade jede Farbe verliert. Obwohl ich es mit viel Liebe eingerichtet habe. Ich weiß nicht was das ist, was mich immer und immer wieder weiter treibt. Mich unruhig werden lässt. Ist es ein Weglaufen? Oder bin ich einfach nicht für einen feste Ort gemacht? Wie wäre es, wie würde es sich anfühlen, wenn ich einfach alle materiellen Besitztümer liegen lassen würde und mich, mit meinem Mann und Hund auf die Wege mache? Statt Haus Wohnmobil und jeden Tag an einem anderen Ort sein. Die Welt erkunden. Unseren Ort finden. Dieses Haus für einige Monate untervermieten und einfach losziehen.

Ich weiß nicht was dahinter steckt. Vielleicht ist es auch egal, solang es sich richtig anfühlt. Es fällt mir heute sehr schwer mich zu konzentrieren. Ich bin schon mit Kopfschmerzen aufgestanden. Quäle mich durch den Tag. Nachher kommt die wöchentliche Lebensmittellieferung. Lex liegt schlafend mitten im Wohnzimmer. Groß ist er geworden. Ernst sind seine Augen. Gestern Abend stand er im Bett und hat fürchterlich gebellt und geknurrt – Pferde, gerade hat er es mit Pferden. Ich habe mich vor ihm hingestellt und ihn angeschaut. Riesig hat er gewirkt, im Halbdunkel, das Fell aufgestellt. Er hat weiter geknurrt und gebellt. Ja, das ist schon durchaus beeindruckend. Habe ihn dann umarmt, ihn ruhig gehalten, eingerahmt, eine Hand auf seiner Brust, eine um seinen Bauch, habe ruhig geatmet, habe versucht meine Ruhe auf ihn zu übertragen. Er wurde leiser, hat aufgehört. Sich nur kurz entspannt. Immerhin. Entspannung ist das Ziel, daran werden wir weiter arbeiten. Ich glaube wir werden beide sehr von dieser Übung profitieren. Hautkontakt, Kuschelhormone werden ausgeschüttet. Unsere Beziehung vertieft sich, Vertrauen. Loslassen können.

Heute Morgen habe ich in den neuen Song von Marilyn Manson rein gehört. Großartig. Musik ist für mich nicht einfach. Es kann eine absolute Manie, aber auch konkrete Suizidgedanken triggern. Von jetzt auf gleich. Ein Song, der mich erst angetrieben, im Training zu Höchstleistungen gebracht hat, mir ein wirklich gutes Gefühl gegeben hat, kann mir im nächsten Augenblick sämtliche Lebenskraft rauben. Deshalb höre ich nur sehr selten Musik. Ich merke, wie mich schon die ersten Töne einsaugen, ich kann die Musik nicht abstellen. Sofort bin ich in den Klängen gefangen und nehme die Stimmung auf. Lex sitzt bei mir, er kennt Musik noch nicht so gut. Legt den Kopf mal auf die rechte, mal auf die linke Seite. Inzwischen ist es Mittag. Noch immer läuft MMs Cry Little Sister. Ich komm nicht von los. Ich bin unruhig und zittere. Nervös. Meine Stimmung springt von super, auf super schlecht. Sekündlich. Ich genieße es fast. Es fühlt sich anders an als sonst. Als würde ich wie ein Grashalm im Wind mitschwingen. So als müsste es in diesem Moment ganz genau so sein. Kurz bevor ich – wenn ich, ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll – eine andere Maske aufziehen, innerlich zu jemand anderen werde fühlt es sich ganz genauso an. Es ist wie ein kleines Feuer, das in mir brennt und plötzlich zu lodern beginnt. Es ist so als würde mein wirkliches Ich sich versuchen seinen Weg aus mir heraus zu bahnen. Als wäre der Dämon zu einem kleinen Kätzchen geworden. Musik hat einen sehr starken Einfluss auf mich. Eine sehr starken unberechenbaren Einfluss. Ich sollte sie dringend abstellen, bevor es sich ins Gegenteil verkehrt. Gern komme ich dann auf Ideen, die sich absolut gut und richtig anfühlen. Ein bisschen an mir herum schneiden, z.B. Alles Schlechte aus mir herauslaufen lassen. Meine Finger werden dann taub, das sind die ersten Anzeichen. Jetzt im Moment werden sie taub. Ich bin aber außerstande es aufzuhalten. Noch hat sich keine fixe Idee in meinem Hirn eingenistet. Noch nutze ich es einfach um zu schreiben. Zugeschnürrter Hals, ganz so, als würde sich eine Panik angkündigen, nur eben ohne Panik. Ich fühle mich völlig klar im Kopf. Ich glaube so fühlt es sich an wahnsinnig zu werden. Es fühlt sich aber gleichzeitig auch so voller Leben, Kraft und Energie an. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich es nicht beenden kann. Es fühlt sich einfach nach etwas an, es ist nicht Nichts. Es ist nicht die Leere, die immer, die so oft jede positiven Gefühle verzehrt, ersetzt. Es fühlt sich nach Leben, nach Sein an. Nach Sinn.

Viele Worte.

Tschüss

vor 6 Jahren

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