Hallo, du Unbekannter

Ich hatte gestern einen Termin in der Diakonie zur Therapie. An den Termin habe ich natürlich wieder nicht gedacht. Am Abend vorher, habe ich noch meinen Mann davon vorgeschwärmt, was ich alles an neuen Wegen entdecken werde – denn einer meiner Vorsätze in diesen Jahr ist es, jede Woche einen neuen Weg zu gehen und so meine Außenwelt Schritt für Schritt mit Lex zu entdecken. Um mir eine weitere schlaflose Nacht zu ersparen, hat er mich nicht an daran erinnert.

Dann passiert das was nach einer Weile immer passiert – ich bekomme Angst vor Dingen, die mir eigentlich gut tun und mir leicht fallen, die dazu gehören, Spaß machen, Routine sind. So war es mit dem Reiten, so war es in jedem meiner Jobs, so war es ab einen gewissen Punkt irgendwie immer. Von jetzt auf gleich war eine Angst, eine Panik da, eine Bewegungsunfähigkeit. Schluckbeschwerden, zugeschnürte Kehle… Das volle Programm. So auch gestern. Aus den letzten Termin bin ich, wie jedes Mal, mit einem sehr guten Gefühl gegangen. Die Therapeutin legt großen Wert auf mein Befinden und sorgt immer dafür, meine Anspannung so gering wie möglich zu halten, bzw. bricht ab wenn diese zu stark wird. Also gibt es keine plausiblen Grund dafür. Das Thema wäre eigentlich ein anderes gewesen. Wir wollten uns eigentlich, sofern es mir gut geht, der Verfolgungsgeschichte vom letzten Jahr widmen. Ich war aber noch weniger als sonst in der Lage, den Blickkontakt mit ihr aufzunehmen bzw. zu halten. Auf ihre Frage wie es mir geht, sagte ich dann das gerade das passiert was immer passiert. Ich bekomme Angst und möchte nicht mehr kommen – das wird allerdings mein Mann nicht zu lassen. Ich habe also keine Chance mich aus der Therapie zu winden. Beim Job, oder auch beim Reiten lag es mehr oder weniger in meiner Hand.

Wir haben bei einer der letzten Sitzungen eine kleine Karte angefertigt. Ich habe auf diese meine mir bekannten “Ichs” aufgeschrieben und deren Relevanz in meinem Alltag. Jeder Mensch besteht aus verschiedenen Persönlichkeiten, das ist normal. Jeder Mensch kennt diese verschiedenen Facetten an sich. Das Arbeits-Ich, das Familien-Ich, das lustige Ich, das Clown-Ich, das vorsichtige Ich… Im besten Fall ist man aber mit allen diesen Ichs verbunden. Es ergibt eine Einheit, mal führt der eine Teil etwas mehr als der andere. Je nach Situation. Bei mir haben diese Ichs diese Verbindung nicht ganz verloren, sie ergeben aber auch keine Einheit mehr. Es ist wie eine Blüte mit sehr langen tropfenförmigen Blütenblättern. Ein Ziel dieser Therapie ist es mit diesen Blütenblättern wieder besser zu kommunizieren.

Ich habe in einem meiner letzten Post schon von einem interessanten Erlebnis geschrieben. Wir haben einen sehr kleines, sehr junges Ich gefunden. Wir haben es an einen sicheren Ort gebracht, es hat sich nicht wohl gefühlt, hatte Angst. Wir haben eine Imaginatiosnübung dazu gemacht, deren Ende war, dass ich jederzeit schauen kann, wie es meinem kleinen Ich an seinem sicheren Ort geht. Ich mach diese Übung seit dem jeden Abend und schaue nach wie es meinem kleinen Ich geht. Ich fühle mich irgendwie ausgeglichener seit dem.

Ich weiß, es ist schwer zu fassen, wenn man es nicht  selbst erlebt…

Meine Therapeutin hat mir darauf hin diese Karte vor die Nase gehalten. Welches meiner Ichs löst diese Angst aus. Irgendwie konnte ich mich auf keins festlegen, ich bin aber auch ganz sicher noch nicht alle Ichs benannt bzw. gefunden zu haben. Also haben wir uns auf die Suche gemacht. Imagination funktioniert bei mir erschreckend gut. Ich war diesmal etwas skeptisch, aber gut, konnte mich dann aber entspannen und darauf einlassen. Wie meine Therapeutin vorgab, habe ich nach meinem Körper gefühlt, Sitzposition, Füße, Atem. Ich habe versucht auf mein Wasserglas zu gucken. Irgendwie ja, keine Worte, ich habe eben noch das Wasserglas klar und deutlich vor mir gesehen. Dann hat sich plötzlich mein Blickfeld verkleinert, es war unscharf, in einem hellbraun-rötlichen Ton eingefärbt. Egal ob ich geblinzelt habe, oder woanders hingeschaut habe, es blieb so! Ich kannte es von meinem kleinen Ich, es war ähnlich nur nicht so stark ausgeprägt, es ließ sich auch durch blinzeln nicht unbedingt unterbrechen, aber es war nicht so ausgeprägt und hatte auch nicht diese rötliche Einfärbung, hellbräunlich verblasst, fast wie ein unscharfes altes Foto.

Mit einmal war da Wut, so unheimlich viel Wut. Keine Angst, keine Spur. Ich war vorher entspannt, neutral. Die Angst vor dem Termin war schnell weg. Ich konnte mir diese massive Wut nicht erklären. Ich habe sie in meinem ganzen Körper gespürt, sie hat mein Gesicht verzogen und mein Bein zucken lassen. Ich hatte Mühe sitzen zu bleiben und nicht den Tisch vor mir abzuräumen und dann hat “es” gesprochen! Jeden Gedanken den ich hatte, hat “es” sofort unterbrochen. Die Therapeutin hat Fragen gestellt und “es” hat geantwortet. Ja… genauso schnell wie “es” da war, war “es” auch wieder weg. Ich war wieder da und abgesehen von der Verwirrung, völlig entspannt. “Es” hat die Imagination selbst beendet. Normalerweise geht man da auch Schritt für Schritt wieder ins Hier und Jetzt. Ich habe jetzt natürlich einige Fragen. “Es” scheint etwas in mir zu beschützen. Ich will nicht davon sprechen dass ich da einen kaputten Teil von mir gefunden habe. Wenn sich ein Teil des Ichs abspaltet, hat es immer den Grund ein Leben zu schützen. Es ist also ein Schutzmechanismus, der mich, mich, mein IchIch vor etwas schützt was ich, damals – wann auch immer “Es” entstanden ist – nicht verkräftet hätte.

Ich habe erzählt was ich gesehen, habe, bzw was mein IchIch versucht hat. Meine Therapeutin interpretiert so, dass “es” nicht will, dass ich über etwas spreche. Wir sind meine Biografie durchgegangen und ich bin mir sicher mich an alle Vorfälle erinnern zu können. Es sind viele Fragen da, die wir in den nächsten Sitzungen hoffentlich beantwortet bekommen.

Wie fühle ich mich jetzt hinterher, eigentlich gut. Sehr gut. Ich bin entspannt und guter Dinge. Ich bin gesprächsbereit mit meinem “es”. Obwohl es mich im ersten Moment schon etwas verunsichert und schockiert hat, ist es jetzt für mich normal und völlig ok, eben ein Teil von mir.

Die Frage die sich mir nun stellt… Wenn “es” ein Teil von mir ist von dem ich nicht wusste, ist es keine ESD mehr. Dann sprechen wir evtl wirklich über eine gespaltene Persönlichkeit – wie man es früher so schön genannt hat.

Ich weiß, das sich schon als Kind als jähzornig beschrieben wurde. Heißt das nun, dass “es” schon immer ein Teil von mir ist, oder hat es sich erst später manifestiert… Um ehrlich zu sein, weiß ich auch nicht genug über dieses “Krankheitsbild”. War es für mich doch immer irgendwo ausgeschlossen. Hat sich nicht nach mir angefühlt.

Ich bin gespannt wohin mich diese Reise führt und ganz ehrlich, ich habe nach den paar Stunden in der Diakonie nicht mit einer solchen Wendung gerechnet. Was bei mir jetzt weiter an Fragen aufkommen, wer führt da nun eine Diagnostik durch, was bedeutet es für meine Berentung, für meine weiteren Kostenübernahmeanträge, für meine GdB – ist hier ein Verschlechterungsantrag sinnvoll? Abwarten, sacken lassen, informieren.

Was ich sagen kann, ich befinde mich gerade in einer “guten Phase”, ich nutze sie so gut ich kann. Sie wird nicht ewig andauern und schon morgen könnte ich mich fragen wie ich all das was ich in den letzten Tagen getan habe nur machen konnte. Ich war fast täglich mit Lex im Dorf und habe einfach nur geguckt. Ich habe mit fremden Menschen gesprochen. Bin relativ kommunikativ und sehr entspannt dabei. Ich kann aktuell sagen, das Leben ist schön und lebenswert. Ich liebe es, ich genieße es. Ich kenne aber auch die andere Seite und die ist nur ein Haar entfernt.

Das waren jetzt viele Worte, auch für mich – jetzt im Nachhinein doch eher fantastisch, also im Sinne von Fantasie. Etwas aus einem schlechten Horrorfilm. Im ersten Moment hat es mich an Supernatural erinnert. Die Szene in dem der Tod bei Sam eine Mauer in seinem Kopf errichtet um ihn vor dem Erlebten aus Luzifers Käfig zu schützen. Witzig wie viel Ähnlichkeit es mit der Realität hat. Ist es Absicht gewesen? “Es” baut eine Mauer im Inneren um vor Erlebten zu schützen, das Überleben zu sichern.

So ist der Stand der Dinge.

Tschüss

 

vor 5 Jahren

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