Ein Landseestern erzählt weiter

Ich bin wohl doch kein Borderliner mit sozialer Phobie. Irgendwie habe ich selbst immer ein bisschen an der Diagnose gezweifelt.

Ich habe einfach eine PTBS und eine, inzwischen  schwere Depression.

Ich glaube mein Therapeut hat sich gestern sehr geärgert,  dass wir erst jetzt der Sache auf die Spur gekommen sind. Es hat ja doch alles irgendwie funktioniert,  aber eben nicht so richtig. Wir waren uns anfangs aber auch beide darüber im Klaren,  dass wir einen Therapieversuch starten,  meine Erkrankung nicht einfach zu behandeln sein wird und uns unsere Wege wahrscheinlich auch wieder trennen werden. Ich war damals aber auch schon davon überzeugt, dass wir das gemeinsam schaffen werden.

Der eigentliche Auslöser war immer nur eine ‘Bemerkung am Rand’. Auch bei meinem damaligen stationären Aufenthalt.

Keiner von uns hat damit gerechnet, dass ich plötzlich mit einer solchen Heftigkeit reagieren werde. Vielleicht war ich damals auch einfach noch nicht so weit. Vielleicht war das Ereignis von mir höchst selbst so gut verpackt worden um mir nicht noch mehr zu schaden und jetzt wo ich ‘stark’ genug bin all das verarbeiten zu können, habe ich es wieder ausgepackt.

Natürlich könnte ich jetzt auch in eine Klinik gehen. Ich habe nächste Woche einen Termin in einer Tagesklinik. Jetzt zum grossen Aber

Klar war der 12 wöchige Aufenthalt gut und wichtig, ich habe eine Menge lernen können, retrospektiv war er jedoch nicht ‘richtig’ für meine wahrscheinliche Diagnose. 

Und ja. Auch da kam ich in den Genuss wahrer Todesangst. Kein ‘huch,  jetzt habe ich mich aber erschreckt’ nein richtige tiefe Angst,  Angst zu sterben. Angst die Station nie wieder zu verlassen. Angst alles zu verlieren. Einfach alles erschütternde Angst. Natürlich wurde diese Angst professionell aufgefangen. Sofern es der tiefe Schock bei allen Beteiligten  zugelassen  hat. Damit meine ich auch die Pflegekräfte, Therapeuten  und Ärzte. 


Ich bin von meinem sonntäglichen Ausgang zurück in die Klinik. Irgendwas war komisch. Mein Stimmungsradar hat direkt angeschlagen. Das ist so meine spezielle Fähigkeit. Ich nehme kleinste Stimmungveränderungen sofort wahr. Wie ein Hai einen winzigen Tropfen Blut im Wasser. Dabei war die Station praktisch leer. Ich hatte einfach ein blödes Gefühl, irgendwas war nicht in Ordnung. 

Ich war lieber für mich alleine. Ich hatte zwar auch Kontakt zu den anderen gehabt, aber abends habe ich mich immer zurück gezogen,  ich war joggen,  oder einfach spazieren und danach habe ich noch ein, zwei Folgen Akte X auf meinem Laptop geguckt. 

Am nächsten morgen gab es statt des obligatorischen Spaziergangs (der fand bei Wind und Wetter statt, noch vor dem Frühstück und war für alle eine absolute Pflichtveranstaltung) ein Gespräch. Eins der Mädchen war verschwunden,  sie hatte über ihren Account in eiem sozialen Netzwerk einen Abschiedsgruß hinterlassen und sich dann vor einen Zug geworfen. Wir waren alle sehr geschockt. Wir haben viel darüber gesprochen,  haben zusammen getrauert,  haben eine Kerze in der Kapelle angezündet,  waren uns aber alle einig am nächsten Tag den geplanten Besuch im Zoo trotzdem zu machen. Sie hätte  das so gewollt. Waren wir doch vorher im Safaripark und hatten zusammen richtig viel Spaß. Vorallem bei der Fütterung der Lemuren und deren Turneinlagen auf unseren Schultern und Köpfen.

 Es war seltsam. Wir kannten uns nicht lang,  aber dennoch war es ein schwerer Verlust. Die Eltern des Mädchens waren uns gegenüber sehr offen und haben uns an ihrer Trauer teilhaben lassen. Wir durften uns aus ihren Sachen ein Andenken nehmen, sofern wir das wollten, und wir durften auch an der Beerdigung teilnehmen. Das war gut und wichtig für uns. 

Ein Andenken Beutel und Armband

Tja und dann passierte das Gleiche nochmal… Innerhalb von 48 Stunden. Wir wussten sofort was los war. Das Pflegepersonal, die Therapeuten und die Ärzte, die noch am ersten Suizid zu knabbern hatten, bis dato war sowas auf der Station noch nicht vorgekommen, saßen alle im Gemeinschaftsraum und warteten auf uns. Man sah ihnen deutlich an wie sehr ihnen die Situation zu schaffen machte. Trotz aller Professionalität waren und sind es auch nur Menschen. Wir hatten das Geschehene ganz gut verkraftet wir hatten uns und wir redeten.

Wir haben zusammen draußen in der Sonne gesessen. Mehr oder weniger im Kreis auf dem Boden. An einem Nebenausgang, jeder für sich in seine Gedanken oder in ein Gespräch vertieft. Ich weiß noch wie das andere Mädchen mit ihrer Tasche an uns vorbei ist. Uns einen knappen Gruß zugeworfen hat. Sie war frisch auf der Station fühlte sich ausgeschlossen,  da uns alle der Suizid fester zusammen geschweißt hat und nur sie das Mädchen nicht so wie wir kannte. 

Diesmal war es ein noch tieferer Schock. Diesmal kam auch Wut dazu. Wir kannten alle die Stelle an der sie von der Brücke auf die Bahnschienen gesprungen  ist. Wir haben die Sirenen gehört  kurz nachdem sie weg war. 

Wir waren sauer und enttäuscht,  dass sie das gemacht hat. Nicht so wie bei dem anderen Mädchen bei dem wir tiefe ehrliche Trauer und Mitgefühl empfunden hatten. Dieser Suizid war unnötig und wir fühlten uns verarscht und um unsere Trauer betrogen.

Dann kam die Angst. Die Station wurde geschlossen. Keiner durfte mehr raus. Keiner durfte alleine sein. Es gab unzählige Gespräche. Manch ein neuer wollte die Station sofort verlassen, andere baten um Verlegung in die Geschlossene.

Der Moment,  als und der Chefarzt mitteilte dass es wieder einen Suizid gab war für mich wie dieser berühmte Satz aus einem Horrorfilm

Lasst uns ein Spiel spielen

Es war als könnte jeder der Nächste sein. Wie in einem Horrorfilm in Echt mitten drin und kein Entkommen.

Uns wurde freigestellt die Therapie abzubrechen. 

Alle haben weiter gemacht und irgendwann war die Angst vorbei und Normalität trat wieder ein. 

Trotzdem war es ein Schock in einer geschützten Umgebung. Es gab während des Aufenthalts immer wieder Schwierigkeiten für mich. So gab es einen grossen Streit mich mit meiner Mutter. Bis heute haben wir keinen Kontakt mehr. Es gab vorher einen Bruch mit meiner Schwester, da sie mir die Schuld an einer Beinahefehlgeburt gab. Ihr Sohn wurde während meines Aufenthalts geboren und ich erfuhr das über ein soziales Netzwerk. Es gab aber auch wieder eine Annäherung zwischen uns. Die bis heute anhält und unsere Beziehung ist tiefer als jemals zuvor.

Ich denke man kann jetzt ganz gut nachempfinden warum ich nicht unbedingt wieder in einen stationären Aufenthalt möchte. Jeder Besuch in einem Krankenhaus ist für mich jedesmal mit einem tiefen Angstgefühl verbunden.

Wichtig ist jetzt erstmal mich keinen Ängsten/Angstsituationen mehr auszusetzen. Ich muss mir eine sichere und geborgene Umgebung schaffen. Ein Rückzugsort. Ein sicheres Nestchen. Viel Nestwärme und Ruhe.

vor 7 Jahren

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